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FAMILIE HUBER ACHERMANN
Hausgeschichten
KOCHEN IM KELLER

Stolz und zufrieden sitzt Seraina am Esszimmertisch und betrachtet ihre neue Küche. Schön! So ganz neu ist sie zwar nicht, aber alles, was nicht untrennbar mit dem Haus verbunden war, wurde renoviert oder ausgetauscht.

 

Einfach war der Weg zur neuen Küche nicht. Die grösste Hürde war ihr Mann Thomas. Als er eines abends Seraina überraschte, wie sie ganz versunken in Hochglanz-Küchenmaga-zinen blätterte, da läuteten bei ihm die Alarmglocken. «Bist du am Träumen?» fragte er so beiläufig. Er wusste nur zu genau, wie heikel das Thema Küche ist. «Wir brauchen jetzt eine neue Küche, und nicht wenn die Kinder gross sind!» meint Seraina mit deutlicher

Betonung auf jetzt. Schon seit Monaten studiert sie Wohnmagazine und Küchenprospekte. Thomas fand die Küche ganz OK. Alles war da, was es braucht. Was will man mehr? Doch irgendwann musste Seraina zu einem fiesen Trick greifen, wie sie selbst meinte, und Thomas seinen Autokauf in Frage stellen: «Auch alles da, der fuhr ja noch bestens.»

 

In der folgenden Woche fing der Schreiner an, die alte Küche zu vermessen. Vermutlich war es nicht der Auftrag, den er sich gemäss den Musterküchen auf seiner Internetseite erträumte. «In zwei Wochen zur neuen Traumküche. Ihr Schreiner und Küchenbauer Soltermann» steht in grossen Buchstaben auf der Einstiegseite. Doch lieber den Spatz in der Hand, dachte er wohl, als er mit den bescheidenen Budgetvorgaben die Möglichkeiten

ausrechnete. Seraina war im Element und Thomas wünschte sich nicht an der Stelle von Soltermann. Mit ihren hartnäckigen Kästchen-, Schubladen- und vielfachen Änderungswünschen brachte sie regelmässig seine Stirne zum Runzeln. Der Kunde ist König, meinte sie nur achselzuckend.

 

Oh Wunder, genau nach Timing konnte der Umbau an einem Montagmorgen in Angriff genommen werden. Wie im Theater wurde die offene Küche mit einem Plastikvorhang verhüllt. An ein Essen am angrenzenden Tisch war nicht mehr zu denken. So schlug Thomas vor, im Hobbyraum eine provisorische Küche mit Essplatz einzurichten. Jetzt war er im Element! In einer Hauruck-Aktion wurde der ganze Hobbyraum umgestellt. Die alte Werkbank wurde mit einem Zweiplatten-Rechaud zum Kochherd umfunktioniert. Das rosa Plastik-Becken bildete den Abwaschtrog, das Werkzeug in den Schubladen wurde gegen das Besteck ausgetauscht und die Farbkübel im Gestell gegen das Geschirr. Die teure Gradi-230V-Halogenlampe von ihrem Schlafzimmer erwärmte das grelle, monotone Neonlicht. Eine alte Pultplatte und vier Gartenstühle ergaben den improvisierten Tisch und der Hochsitz der kleinen Eva wurde zwischen Tisch und Mauer gezwängt. Und fertig war das Keller-Restaurant. Sogar der Ämtliplan wurde mit Reisnägel gut sichtbar an die Kellertüre genagelt.

 

Zweieinhalb Wochen lang bestimmte das Zweiplatten-Rechaud den Menuplan. Doch irgendwann wussten selbst die Betty Bossi-Kochbücher keinen Rat mehr und die Tristesse des Kellers machte sich bemerkbar. Und das Suchen nach Gewürzen, Frühstücksflocken, Guetzlipackungen, Rüstmesser, Abtrocknungstüchlein und vielem mehr nahm keine Ende. Dafür, gottseidank, der Umbau.

 

Stolz zügelte die Familie den gesamten Hausrat wieder nach oben und versorgte diesen in einem fast feierlichen Akt, genau nach den Plänen von Seraina, in der neuen Küche. Alles neu, alles leer, das Holz duftete und die Türchen schlossen sich automatisch. Wunderbar und welche Wohltat, an einem Tisch zu sitzen und die fehlende Tasse im Kasten zu finden, statt in Kisten zu suchen. „Gefällt’s euch?“ Die zwei kleinen leuchtenden Augen von Rosa strahlten Seraina an. „Mami, wann essen wir wieder im Keller?“ 

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KATZENRESTAURANT

Uuiuiui, das ist dem alten Herrn Baumberger aber zu viel. Soeben hat Jerry, die Katze von Nachbar Huber-Achermann, ihr Geschäft in seinem Garten erledigt. Direkt in die frisch gehäckelte Erde, wo bald der blaue Rittersporn erwartet wird. Was zu viel ist zu viel! Er zieht er den Vorhang am Küchenfenster mit einem Ruck wieder zu und stampft kurz darauf in Richtung Nachbarhaus. Das muss jetzt endgültig aufhören, dass die Katzen der ganzen Umgebung seinen Garten als Klo benutzen. Auch nach dreimal Klingeln bewegt sich nichts, kein Ton und kein Mucks ist im Haus zu hören. «Aha, typisch junge Generation,» knurrt er, «in die Ferien reisen und die Katzen herumstreunen lassen.»

 

Eigentlich ist der alte Baumberger ein umgänglicher Mensch. Diese Seite seines Wesens hat bisher auch verhindert, dass zwischen den Grundstücken von Baumberger und Huber-Achermann noch kein dichter Maschendrahtzaun montiert wurde, der die Unstimmigkeiten zwischen den beiden Nachbarn öffentlich macht. Aber die nachbarschaftlichen Katzengespräche fruchten immer weniger, im Gegenteil: Nichts bringt Baumberger mehr in Rage als die dämliche Antwort, «...tut uns furchtbar leid, Katzen kann man nicht erziehen.» Dann müsste man als Nachbar auch das Recht haben, bei Katzenanschaffungen mitzubestimmen. Aber nein, plötzlich sind sie da! Rundherum. Jerry und Lola von Huber-Achermann, Pascha von Röllis nebenan, Mozart von Beckers vis-à-vis, Leader von Petric auf der anderen Strassenseite und Baumbergers Garten mittendrin als Katzeninsel und Ausweichrevier der markierenden und streitsüchtigen Kater. Baumberger fühlt sich wie umzingelt.

 

Das war nicht immer so. Noch vorletztes Jahr fütterte er, genau genommen seine Frau Margrit, die beiden Katzen von Huber-Achermann, wenn diese jeweils vergnüglich im Mittelmeer plantschten oder in den Bergen wanderten. Aber mit den zunehmenden Anfragen aus der gesamten Nachbarschaft scheint ihm die Katzenliebe abhanden gekommen zu sein.

 

Zugegeben, ein grosser Katzenliebhaber ist auch Thomas Huber-Achermann nicht. Es sind nicht seine Lieblingsmomente, wenn sich am Samstagabend Jerry oder Lola auf seinem Schoss gemütlich machen. Aber mit drei gegen eins hat er die familieninterne Katzenkauf-Abstimmung vor vier Jahren definitiv verloren. Als Einziges konnte er noch durchsetzen mit Rosa, Moritz und seiner Frau Selina die Pflichten und Verantwortung zu regeln, den Katzenbaum im Wohnzimmer in eine hintere Ecke umzuplatzieren und das Katzenklo von der Küche in den Keller zu verbannen. Auch wenn er es heute nicht zugibt, seine Familie ohne Jerry und Lola kann er sich nicht mehr vorstellen. Vorallem, als die Beiden noch klein waren und mit ihrem lustigen Treiben die ganze Familie unterhielten. Wie wichtig seiner Familie ihre beiden Katzen noch heute sind, erfährt er jedesmal, wenn er vom Einkaufen das falsche Futter nach Hause bringt...

 

Das Fass endgültig zum Überlaufen brachte bei Baumbergers, als der schöne Flieder in ihrem Garten am Stamm wüste Kratzspuren aufwies. Damit wurde ihre Geduld definitiv überstrapaziert. Die halbe Nachbarschaft wurde zum Katzengespräch einberufen. Man traf sich am Tatort zur Besichtigung. Praktisch alle Familien waren vertreten. Bei Huber-Achermann war es Thomas, der delegiert wurde. Auch Beckers und Petric tauchten auf. Nur Röllis fehlten mit der Begründung, ihr Pascha könne es unmöglich gewesen sein, er sei mehr auf Futter, als auf Baumstämme fixiert.

 

Das Resultat war, dass sich Thomas am folgenden Samstag mit Holzpfählen und einem Gitter ausgerüstet daran machte, einen Schutzzaun um den lädierten Fliederstamm zu basteln. Nur die kleine Rosa war dabei. Sie stampfte neugierig in Nachbars Garten herum, um  die versteckten und geheimnisvollen Plätzchen auszukundschaften. Plötzlich sprang sie hinter Baumbergers Haus hervor und rief ganz aufgeregt, «Lueg Papi, da hinten hät’s es Katze-Restaurant!» und zeigt in Richtung Küchentüre. Und tatsächlich, dort stand zur Selbstbedienung ein alter, randvoll gefüllter Katzenfressnapf mit verblassener Gravur «Beauty». Eine Erinnerung an Margrit Baumbergers Katzenliebe...

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Anker 1; Katzenrestaurant
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